Pitztal Powderline

Wenn die meisten Wintersportler die Ausrüstung schon in den Keller verschafft haben, ist in den Hochalpen Erntezeit. Die Varianten vom Pitztaler Gletscher sind meist bis nach Ostern befahrbar. Wir spekulieren auf Frühlings-Powder am Mittagskogel.

Eine Aprilwoche als Wetterkrimi. Wir haben eine ganze Woche frei genommen, um unsere Liste mit möglichst vielen grünen Haken zu versehen. Und siehe da: In der Vorwoche schneit es, beinahe jeden Tag. Und dann soll ein Hoch folgen. Sonne und Neuschnee, auf eine mittlerweile weitgehend stabile Schneedecke. Geht es noch besser?

Doch wie es so ist: Bereits am Ende der Vorwoche schieben sich die ersten Wolken in die Prognose. Westwind. Störungen. Wir schieben den Start unserer letzten Winterreise tageweise weiter. Als wir am Montag für erste Erkundungen in St. Leonhard im Pitztal ankommen, stecken die Berge in dichten Wolken. Doch am Abend kündigt sich tatsächlich der erste klare Tag an – mit genau den Bedingungen, auf die wir spekuliert haben: Kalt für die Zeit im Jahr, klarer Himmel und genügend frischer Schnee, so dass die Abfahrt ein Traum werden könnte – jedoch nicht so viel, dass die Lawinengefahr von Stufe zwei – „mäßig“ – wieder in riskantere Höhen schnellt.

Kalt für die Zeit im Jahr, klarer Himmel – und so viel Neuschnee, dass die Abfahrt ein Traum werden könnte

Die Pitztaler Gletscherbahn befördert uns vom Vorfrühling durch eine finstere Röhre in magischer Geschwindigkeit in den tiefsten Winter. Das Licht strahlt so hell hier oben, dass man im ersten Moment versucht ist, in die Dunkelheit der Bergstation zurückzukriechen. Dann setze ich die Sonnebrille auf und genieße den Ausblick auf die steilen, blau verschneiten Zacken. Eine weitere Bahn hinauf, und man könnte direkt in Richtung Wildspitze, Tirols höchsten Berg starten. Oder man nimmt den Tellerlift, der einen in Richtung Mittagskogel zieht, dessen Scharte oder Gipfel man vom Ausstieg mit einem kurzen Aufstieg auf meist vorhandenen Spuren erreicht.

Die Abfahrt vom Mittagskogel bietet zahlreiche Varianten. Nach einem kurzen Steilstück von der Scharte in etwas gemäßigteres Gelände. Oder vom Gipfel ausgesetzt durch steile Rinnen in den langsam abflachenden unteren Bereich. In jedem Fall sind es rund 1.400 Höhenmeter, die die besten Freeriderinnen und Snowboarder des Landes jedes Jahr beim Wildface-Contest in knapp über sechs Minuten hinunter ballern. Erreicht man den Gipfel gemeinsam mit einer Handvoll Mitstreiter an einem einsamen Apriltag, bietet sich ein unglaublicher Blick in unverspurtes, edelstes Freeride-Gelände, wie man es sich feiner in seinen pulvrigsten Träumen kaum ausmalen könnte.

Die Tour

Höhe: 3.159 Meter bis 1.736 Meter
Ausrichtung: Nord-West
Versuche: 1
Verhältnisse: Firn und Pulver
Empfohlen für: erfahrene Freerider
Alternativen: Mittagskogelscharte

Unsere Abfahrt führt uns vom Gipfelkreuz in den steilen Osthang, der schon morgens der Sonne ausgesetzt ist. Hier sollte man, besonders im Frühling, nicht zu spät dran sein, um die Schneedecke im besten Fall angefirnt und auf keinen Fall durchnässt zu erwischen. Bevor der Hang richtig steil wird, zieht man deutlich nach links auf eine Rippe, von der man zum ersten Mal in die Nordwesthänge blickt, die sich bis hinunter ins Taschachtal ziehen.

Die Beschaffenheit der Schneeoberfläche wechselt mit dem Queren der Wechte von leicht pampigem Firn zu eiskaltem, grobkristallinem Pulverschnee. Ich teste die Schneedecke mit ein paar Side-Steps: Der frische Schnee knistert ungebunden unter meinem Ski. Der Lawinenlagebericht hatte vor Schwachschichten oberhalb 2.600 Metern gewarnt, doch die Varianten hier wurden offensichtlich regelmäßig befahren und die frische Schicht scheint ohne großen Windeinfluss gefallen zu sein. Ich stelle die Ski gerade und nehme Fahrt auf für die schnellsten und besten Turns meines Winters.

Als der Hang ein paar Grad flacher wird, ziehe ich ein Stück hinüber nach rechts, wo überschneite Felsen mit federweicher Landung zu entspannten Jubelsprüngen einladen. Dazwischen weitere Turns durch den staubtrockenen Pulverschnee. Der Rest ist ungebremste Freude bis hinab zu dem flacheren Plateau etwa auf der Hälfte der Nordostabfahrt vom Mittagskogel.

Im weiteren Verlauf hat man die Möglichkeit, tendenziell in nördlicher Richtung über erst flachere, sich dann noch einmal aufsteilende Rücken bis in das Waldstück oberhalb der Talstation abzufahren. Oder man zieht in Richtung Westen zu den Hängen hinab ins Taschachtal, so, wie man auch von der Mittagskogelscharte abfährt. Besser ist, man kennt das Gelände oder hat es sich von der Rifflsee-Seite des Skigebiets angesehen, denn nicht alle Linien bieten einen sicheren Durchschlupf. Für die Westabfahrten sollte man auch nicht zu spät dran sein, weil nachmittags die unteren Passagen über der Taschach warm und gefährlich werden.

Geflutet mit Glück und dankbar für dieses große Geschenk fahren wir sofort wieder zur Gletscherbahn, um noch eine Runde zu drehen. Wie soll man diesen Tag noch toppen? Muss man es? Sollte man es überhaupt versuchen? Darüber werden wir erst später nachdenken, ausgepowert und mit brennenden Schenkeln nach der dritten Abfahrt vom besten Mittagskogel der Welt.

Hey you! Safety first.