Freeriden in Fieberbrunn

Die Nordflanke des Wildseeloders bietet Steep Skiing diesseits der ganz hohen Berge. Die Kunst: sichere Verhältnissen zu erwischen. Und dann muss sich das Team noch hinunter trauen.

Als ich nach den letzten Metern durch tiefen Schnee und zwischen eisigen Felsblöcken hindurch das Gipfelkreuz erreiche, muss ich mich erstmal daran festhalten. Es ist ein bisschen so, als würde die andere Seite des Wildseeloders fehlen, so steil kippt die Nordseite ab. Was man nach der Geländekante sieht, sind die wenigen Spuren der Skifahrer 600 Meter weiter unten, die sich bereits hinab getraut haben. Ich kann sogar sehen, wo sie sich nach einer Traverse nach links bis zu einer Rinne vorgetastet haben, dann schluckt das Gefälle ein paar hundert Höhenmeter optisch einfach weg. Da will ich wirklich runter?

In unserem Versuchswinter, der eher spät startet, kommen die ersten nennenswerten Schneefälle überhaupt aus dem Nord-Osten. Gleich klar: Zeit für Fieberbrunn. Das ist die Nord-Ost-Stau-Option schlechthin in Tirol, außerdem aufgrund der niedrigen Gesamthöhe perfektes Hochwinter-Programm. Doch die Schneefälle sind heftig. Kalt, pulvrig, aber auch mit viel Wind. Beim ersten Ausflug seit vielen Jahren finden wir Fieberbrunn tief winterlich. An größere Ausflüge ins freie Gelände ist aufgrund der Lawinengefahr gar nicht zu denken. 

Wo wir den Wildseeloder vermuten, sehen wir drei Tage lang nichts als Schneesturm.

Aber wie es mit Großschneefällen so ist: Nach nur einer Woche ist aus einem super heiklen Vierer auf der Lawinenskala ein angenehmer Zweier geworden. Und die Nordseite des Wildseeloders sieht man bereits von der Straße hinauf zur Talstation prächtig im Morgenlicht stehen. Als wir einen Freeride-Guide in der Skischule nach seiner Einschätzung fragen, mustert er kurz unsere Ausrüstung. Dann meint er, dass er zwar selbst gerade noch nicht oben war, die Verhältnisse aber einen recht sicheren Eindruck auf ihn machen. So eine ehrliche – und ernsthafte – Meinung bekommt man auch nicht überall. Aber in Fieberbrunn nimmt man Freerider als Publikum glücklicherweise ernst.  

Nach einer Traverse und kurzen Abfahrt auf der Rückseite der „Henne“ führt ein Grad hinauf zum Wildseeloder. Mit Skiern auf dem Rucksack und Stöcken in den Händen steigt es sich gut. Ich bin dennoch froh, dass es bereits eine Aufstiegsspur gibt. Wenn man sich in alpinem Gelände zu bewegen weiß, sollte der Aufstieg keine Probleme bereiten, für Freeride-Einsteiger ist das Absturzgelände jedoch nicht zu empfehlen.

Die Tour

Höhe: 2.117 Meter bis ca. 1.500 Meter
Ausrichtung: Nord-Ost
Versuche: 2
Verhältnisse: von prügelhart bis windverpresst
Empfohlen für: erfahrene Freerider und Skialpinisten
Alternativen: von der Hochhörndlbahn zu den Grundalmen

Nach einem windverblasenen Gratstück kippt die Abfahrt nach links ab. Am oberen Steilstück, gut über 40 Grad steil, harter, verpresster Schnee. Nicht entspannt zu fahren. Aber wenigstens fühlt es sich sehr sicher an. Definitiv eher Absturz- als Lawinengefahr. Wir sind zu dritt unterwegs. Frank, der Fotograf, folgt mir auf der Abfahrt. Gegenüber auf der anderen Seite des Hanges steuert Mario eine Drohne, mit der er unsere Abfahrt aus einer anderen Perspektive dokumentiert. Riesenvorteil: Ich kann kurz anrufen und mir die Wegführung noch einmal bestätigen lassen. Denn so richtig sieht man immer noch nicht, wo es entlang geht. Passt.

Ich traversiere vorsichtig nach rechts unterhalb eines markanten Felsblocks entlang. Und dann sehe ich deutlich die Rinne, die sich in steilen Kurven bis ans Ende der Abfahrt zieht. Ich atme einmal sehr tief durch und starte.

Der Schnee hier immer noch verpresst, aber nicht mehr so hart. Um voll laufen zu lassen, ist es für mich hier eh zu steil. Also versuche ich, die Turns sauber zu fahren, nicht nur umzuspringen, aber immer wieder etwas Speed rauszunehmen. Ich versuche, mir den Tipp eines guten Freeriders zu Herzen zu nehmen und stärker über die Schaufel zu belasten, damit die ganze Kante greift. Und so geht die Achterbahnfahrt hinunter.

Ganz zum Schluss wird es flacher, man nimmt sofort Geschwindigkeit auf, weil man sich entspannt.

Herzklopfen. Stolz. Die erste der sieben war gleich eine richtig wilde. Und hat mit gutem Risikomanagement und etwas Geduld super geklappt. Wir fahren gleich noch eine Runde. Und lassen den Tag mit Tree Runs bis hinunter nach Fieberbrunn ausklingen. Viel zu lange nicht hier gewesen. Völlig berechtig DAS Freeride-Revier im Osten Tirols!

Hey you! Safety first.